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Nr. 166 Voraussetzung zu letalen Entnahme des Wolfes angesichts des Schutzes der Deiche

§§ 44, 45, 45a BNatSchG; Art. 16 FFH-Richtlinie

1. Jeder Eingriff, der eine geschützte Art betrifft, darf nur auf der Grundlage von Entscheidungen genehmigt werden, die mit einer genauen und angemessenen Begründung versehen sind, in der auf die in Art. 16 Abs. 1 FFH-​Richtlinie genannten Gründe, Bedingungen und Anforderungen Bezug genommen wird. Daher obliegt es den zuständigen nationalen Behörden auch nachzuweisen, dass es insbesondere unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse sowie der Umstände des konkreten Falls keine anderweitige zufriedenstellende Lösung gibt, um die Ziele zu erreichen, auf die die fragliche Ausnahmeregelung gestützt wird.

2. Als Mindestanforderung, die an die Begründungs- und Nachweispflicht der Behörde zu stellen ist, dass es an einer zumutbaren Alternative für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung zur letalen Entnahme eines Wolfes fehlt, ist jedenfalls zu verlangen, dass sich die Behörde nachvollziehbar an den Vorgaben orientiert, die sich hierzu in dem von der Umweltministerkonferenz im Oktober 2021 beschlossenen, im Dezember 2023 überarbeiteten Praxisleitfaden zur Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen nach §§ 45 und 45a BNatSchG beim Wolf, insbesondere bei Nutztierrissen, ergeben.

3. Vor jeder Ausnahmegenehmigung zur Entnahme eines Wolfs ist auch im Bereich von Deichen zu prüfen, ob die Durchführung von Herdenschutzmaßnahmen (u.a. stromführende Wolfsschutzzäune und/oder Herdenschutzhunde, Änderungen im Herdenmanagement) im Einzelfall eine zumutbare Alternative im Sinne von § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG bzw. eine anderweitige zufriedenstellende Lösung im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der FHH-​Richtlinie ist.

OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Juli 2024 – 4 ME 125/24

Tatbestand:
I.
Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtschutzes über eine vom Antragsgegner verfügte artenschutzrechtliche Ausnahmeregelung zur Tötung eines Wolfs.

Mit Beschluss vom 1. Dezember 2023 verständigte sich die Umweltministerkonferenz auf eine neue Vorgehensweise für „Schnellabschüsse“ von Wölfen, die trotz Herdenschutz Weidetiere gerissen haben. Danach soll in Gebieten mit erhöhtem Rissaufkommen bereits nach erstmaligem Überwinden des zumutbaren Herdenschutzes und dem Riss von Weidetieren durch einen Wolf die Erteilung einer Abschussgenehmigung möglich sein. Diese Abschussgenehmigung soll zeitlich für einen Zeitraum von 21 Tagen nach dem Rissereignis gelten und die Tötung eines Wolfs im Umkreis von bis zu 1.000 m um die betroffene Weide im betroffenen Gebiet zulassen. Gebiete mit erhöhtem Rissaufkommen sollen von den Ländern festgesetzt werden. Sie können sich zum Beispiel an Wolfsterritorien, naturräumlichen Gegebenheiten oder raumordnerischen (z. B. kommunalen) Grenzen orientieren (vgl. dazu die Presseinformationen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz vom 13. Dezember 2023, abrufbar unter www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Naturschutz/umk_wolf_handout_bf.pdf)

Am 15. Juni 2024, am 16. Juni 2024, am 20. Juni 2024 sowie am 30. Juni 2024 kam es zu Rissen von Schafen auf dem Hauptdeich der Deichacht D-​Stadt zwischen Deichkilometer … (östlich von D-​Stadt) bis … (G. -Stadt; Straße H.). Am 15. Juni 2024 wurde ein Schaf gerissen, am 16. Juni 2024 wurden ein Lamm gerissen und ein Schaf verletzt, am 20. Juni 2024 wurden zwei Schafe gerissen und drei weitere Schafe derart verletzt, dass diese erlöst werden mussten, und am 30. Juni 2024 wurde ein weiteres Schaf gerissen. Die Rissereignisse vom 16. Juni 2024, vom 20. Juni 2024 sowie vom 30. Juni 2024 wurden von einem Rissgutachter der Landwirtschaftskammer dokumentiert. Der Rissgutachter traf die Feststellung, dass ein Wolf diese Risse verursacht habe und in diesen Fällen der für die Zahlung von Entschädigungsleistungen erforderliche Grundschutz nicht gegeben gewesen sei. Der nicht begutachtete Riss vom 15. Juni 2024 ist nach Ansicht des Antragsgegners mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls auf einen Wolf zurückzuführen.

Auf Antrag der Deichacht D-​Stadt vom 21. Juni 2024 erteilte der Antragsgegner in Umsetzung der von der Umweltministerkonferenz verabredeten Verfahrensweise für die Genehmigungen zur Tötung von Wölfen im „Schnellabschussverfahren“ an die Beigeladenen zu 1. und 2. am 4. Juli 2024 eine Ausnahmegenehmigung zur Tötung („letalen Entnahme“) eines Wolfsindividuums. Die Genehmigung wurde räumlich beschränkt auf einen Radius von 1.000 m um den Ort des Rissereignisses vom 30. Juni 2024 innerhalb der Gemeinde I. -Stadt. Befristet beschränkt wurde die Ausnahmegenehmigung bis zum Ablauf des 21. Juli 2024. Der zeitliche und räumliche Geltungsbereich des Bescheides folgt somit der von der Umweltministerkonferenz verabredeten Vorgehensweise für „Schnellabschüsse“ von Wölfen. Außerdem ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung des Bescheides an.

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